AStA der Medizinischen Hochschule Hannover

„Ich hab ja nichts gegen… , aber…“- Workshop für mehr Zivilcourage

Wir alle haben sicherlich schon Situationen erlebt, in denen wir wussten, es wäre jetzt richtig und wichtig zu handeln und einzugreifen… und haben doch nichts getan. Gründe dafür sind vielfältig.

Um dieser Unsicherheit entgegenzuwirken, haben wir in der Reihe „Von Privilegien und Rassismus“ einen Argumentationsworkshop von IBIS (Interkulturelle Arbeitsstelle für Forschung und Dokumentation, Bildung und Beratung e.V.) in die Mitte der Veranstaltungsreihe organisiert, um in diskriminierenden Situationen aktiv zu werden und einzuschreiten. Dabei ist es egal, ob es auf der Familienfeier der Onkel ist, der über Ausländer schimpft, oder in der Kneipe, wo von Fremden Stammtischparolen propagiert werden.
Kurz zu mir: Ich werde weiß gelesen, definiere mich als cis-Mann. Ich habe häufig schon solche Situationen erlebt und mich noch häufiger gefragt: Was kann ich tun? Und möchte die (verbal) attackierte Person überhaupt, dass ich einschreite?

Workshops heben sich immer dann vom Frontalunterricht ab, wenn sich die Gruppe selbst etwas erarbeitet und eigene Aha-Momente generiert – genau das haben die Referent*innen von IBIS e.V. hervorragend ermöglicht: Neben Input zum Thema Sexismus, Othering, Blackfacing und Fakenews wurde anhand von Beispielsituationen nahe gebracht, wie allgegenwärtig Rassismus in unserer Gesellschaft ist: Ob auf Festen wie Karneval, auf vermeintlich „sozialen“ Medien oder in der Werbung, die sich auch in der heutigen Zeit noch immer solcher Mechanismen bedient. Auch in der uns vertrauten Medizin ist so etwas alles andere als eine Unbekannte – Stichwort „Morbus mediterraneus“. Doch Diskriminierung tritt nicht nur strukturell überall auf; sie ist auch intersektional: Sexismus trifft Rassismus.

Kein einfaches Thema also, das sich kurz zusammenfassen lässt. Nicht ohne Grund hat dieser Workshop auch zwei Tage à 3,5 Stunden in Anspruch genommen. Nachfolgende Darstellung geht deshalb nur in aller Kürze auf einige wenige Punkte ein – frei vom Anspruch auf Vollständigkeit.

Die Quintessenz lautet: Übung macht die*den Meister*in. Das muss gar nicht immer direkt in der Offensive passieren, sondern kann auch in Übungsszenarien im geschützten Raum mit Freund*innen geschehen. Sich zu überlegen, was und wie mein Gegenüber argumentieren könnte und welcher Strategien sich zum Beispiel Populist*innen bedienen, hilft ungemein dabei, seine eigene Rhetorik aufzuwerten und Scheinargumente abzuwehren.

Zunächst sollte immer bewertet werden, in welchem Setting Ihr Euch gerade befindet: Geht eine unmittelbare Gefahr für die von Diskriminierung betroffene Person aus, weil man auf eine alkoholisierte Neonazi-Bande am Bahnhof trifft oder sitzt man gerade bei seiner Oma gemütlich am Küchentisch und trinkt Kaffee? In Gefahrensituationen sollte immer auch auf den Eigenschutz geachtet und im Zweifel die Polizei gerufen werden; am besten in Rücksprache mit der betroffenen Person – was sind ihre Wünsche? Genau das ist wahrscheinlich auch der wichtigste Punkt: Fragt, wie Ihr der betroffenen Person am besten helfen könnt, hat sie Sorgen oder Anliegen? Häufig kann in Alltagssituationen schon ein Blickkontakt reichen, der signalisiert: „Du bist in dieser Situation nicht allein“. Versucht, der Person auch immer die Möglichkeit zu geben, frei von Konfrontation aus dieser Situation zu kommen.

Anschließend ist die Frage sinnvoll, was Euer Ziel in der jeweiligen Situation ist: Es sollte niemals sein, mein Gegenüber mit Argumenten bloß zu stellen, denn im besten Fall soll die Person ja einsichtig werden – oder schafft Ihr es vielleicht, Personen abzuholen, die drum herumstehen und unbeteiligt scheinen. Lohnt sich deshalb überhaupt ein Diskurs mit meinem Gegenüber? Liegen gegebenenfalls völlig diskrepante Weltbilder vor, weil die Person z.B. die Gleichheit der Menschen ablehnt? Dann heißt es hier am besten: Stopp! Nur wer zugänglich für Argumente ist, dem sollte ich auch Raum für eine Diskussion geben. Dabei unbedingt vorher Gesprächsregeln festlegen, essentiell ist z.B. das gegenseitige Ausredenlassen.

Beliebte Taktik am Stammtisch ist das sogenannte Parolen-Hopping, bei dem mehrere diskriminierende Aussagen aneinandergereiht werden. Versucht daher, Punkte einzeln abzuschließen. Wichtig ist auf jedem Fall, ruhig und fehlerfreundlich im verbalen Diskurs zu bleiben. Es lohnt sich auch immer, Verallgemeinerungen zu hinterfragen: Wer sind „die“ oder wer sind „wir“ und auf welche Quellen bezieht sich mein Gegenüber? Durch strategisches Nachfragen, wie etwas genau gemeint sei, kann man sich zusätzlich Zeit verschaffen, um eine eigene Argumentation aufzubauen.

Und bedenkt: Wenn nötig, brecht das Gespräch ab oder verschiebt es auf einen anderen Termin. Wir haben nicht immer die nötige Kapazität, manchmal fehlt auch schlichtweg die Zeit in diesem Moment. Das ist völlig in Ordnung.

Bleibt die Frage, warum Menschen häufig nicht intervenieren. Ähnliche Mechanismen entdecken wir auch in der (Notfall-)Medizin, wenn Menschen in Notsituationen nicht helfen- der sogenannte Bystander-Effekt. Für diesen werden zwei Ursachen angeführt: Stress und Inkompetenz. Zum einen würde in Situationen mit vielen vermeintlich unbeteiligten Menschen Verantwortung kollektiv aufgeteilt; es fände eine Verantwortungsdiffusion statt. Zum anderen käme es zur pluralistischen Ignoranz: In unklaren Situationen suche der Mensch Feedback bei anderen, bekäme dieses in dem Moment eventuell nicht und reagiere dann mit Lähmung und Verwirrung.

Es ist ebenfalls erstaunlich schwierig, überhaupt zur helfenden Person zu werden. Darley & Latané beschreiben in diesem Zusammenhang einen 5-Stufen-Prozess:
Ereignis bemerken -> Einschätzen der Situation als „Eingreifen erforderlich“ -> Verantwortung übernehmen (pluralistische Ignoranz) -> Entscheiden, wie zu helfen ist (Aktionsignoranz) -> Helfen (mit der Angst vor Konsequenzen im Hinterkopf, ob man z.B. sozialen Normen entspricht oder kollektive Ablehnung widerfährt).

Marcel Borchert, AStA-Referent für Soziales & Gleichstellung