AStA der Medizinischen Hochschule Hannover

Das Nicht-Benennen von Diskriminierung ist auch Diskriminierung!

An einem Sonntagabend Anfang Dezember trafen wir uns zu fünft im Wohnzimmer, um es (natürlich in Absprache mit Campus Life) für zwei Tage zu dekorieren und in eine Ausstellung zu verwandeln. Anlass gaben die deutschen Antidiskriminierungs-Aktionstage am 2. und 3. Dezember 2019, veranstaltet von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes in Berlin.

Natürlich ist die MHH gegen Diskriminierung. Doch das bedeutet nicht, dass keine stattfindet. Wer Rassismus ablehnt, kann trotzdem rassistisch handeln. Ich setze mich gegen Sexismus ein und trotzdem denke ich sehr häufig in sexistischen Mustern. Ich gebe mir Mühe, meine inneren diskriminierenden Muster aufzudecken und dagegen anzugehen. Aber die Ausgrenzung des Anderen, die Kategorisierung in „wir“ und „die“ ist ziemlich tief in meinem Weltkonstrukt verankert.

Wichtig ist, das nicht zu verdrängen. Klar, gerade in unserem Land sind Rassismus und Behindertenfeindlichkeit und weitere wirklich emotionsbeladene Begriffe. Niemand will diskriminierend sein. Ich halte mich als aufgeklärte, vom Bildungssystem privilegierte weiße Frau in meiner Blase auf und denke vielleicht, dass ich keine Vorurteile habe. Währenddessen können Menschen mit schwarzer Hautfarbe, mit Hijab, mit Kippa, im Rollstuhl, mit gleichgeschlechtlichen Partner*innen und viele mehr nicht einfach jeden Tag die Blicke und Sonderbehandlungen ignorieren, die ihnen zu Teil werden. Für sie ist Diskriminierung real.

Und das gilt auch und besonders im Gesundheitssystem:

Schon im Fach Psychologie und Soziologie der Medizin im 2. Studienjahr lernen wir, dass es Zusammenhänge zwischen sozialen Faktoren und kardiovaskulären Erkrankungen (Ingland 2014), Krebserkrankungen (Singh und Jemal 2017) und vielen weiteren gibt. (https://elearning.mh-hannover.de/goto.php?target=file_41610_download&client_id=elearning)

Hier außerdem nur eine kurze beispielhafte Auflistung an Studien zu dem Thema:

Von Rassismus betroffene Menschen haben ein höheres Risiko für viele Erkrankungen, darunter Psychotische Störungen und auch Bluthochdruck (David R. Williams und Selina A. Mohammed: Racism and Health I: Pathways and Scientific Evidence, 2013 in American Behavioral Scientist). (https://journals.sagepub.com/doi/abs/10.1177/0002764213487340)

Laut U.S. Transgender Report 2015 gingen 23 % der Umfrageteilnehmenden nicht zu Gesundheitsdienstleister*innen, auch wenn es eigentlich nötig gewesen wäre. Grund sei die Angst, als Transgender-Person unangemessen oder falsch behandelt zu werden. (https://transequality.org/sites/default/files/docs/usts/USTS-Full-Report-Dec17.pdf)

Auch ein wichtiger Aspekt zur medizinischen Dimension von Trans*- und Inter*-Diskriminierung: Das gehäufte Auftreten von Harnwegsinfekten bei Menschen, die aus Angst vor Anfeindungen öffentliche Toiletten meiden, die ihre Geschlechtsidentitäten nicht mitdenken. Mehr dazu und was wir auch an der MHH dagegen tun könnten auf dieser wichtigen Seite: https://toilettenfueralle.blackblogs.org/

Das Erleben von Alltagssexismus enthalten in abwertenden Kommentaren und Objektifizierung erhöht die Wahrscheinlichkeit für Depressionen. Das gilt unabhängig vom Geschlecht, wobei Frauen* von mehr sexistischen Erfahrungen berichten. (Janet K. Swim, Lauri L. Hyers et al: Everyday Sexism: Evidence for Its Incidence, Nature, and Psychological Impact From Three Daily Diary Studies, 2002 im Journal of Social Issues) (https://spssi.onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/0022-4537.00200)

Wir, die Kritischen Mediziner*innen, finden es wichtig, für Diskriminierung zu sensibilisieren und sie nicht zu verschweigen. Wir finden es wichtig, uns darüber auszutauschen, wie wir miteinander und auch mit Patient*innen umgehen wollen. Welche Rolle spielen die Macht- und Hierarchieverhältnisse in der Lehre oder im Stationsalltag? Wer entscheidet, was Diskriminierung ist? Wie können von Diskriminierung betroffene Menschen sich wehren? Ist das überhaupt ihre Aufgabe? Es gibt viel zu diskutieren und unsere Antidiskriminierungs-Aktionstage wollten mit einigen Plakaten genau dazu anstoßen.

Leider fanden wir am ersten Morgen der Ausstellung 17 unserer bunten Aktionszettel zusammengeknüllt in den Papierkörben im Wohnzimmer. Die übrigen verschwanden in der nächsten Nacht. Wir sind ratlos: das Wohnzimmer, so wurde es uns nochmal von offizieller Seite bestätigt, ist studentisches Verwaltungsgebiet. Es gab also keinen formalen Grund, alle bunten Zettel abzuhängen.

Ist das Problem größer als wir denken? Die MHH ist gegen Diskriminierung, aber (eine?) einzelne Person(en?) möchte(n) dafür sorgen, dass wir uns nicht damit auseinandersetzen, ob sie tatsächlich stattfindet?

Das darf und wird ihr nicht gelingen. Wir solidarisieren uns mit allen Menschen, die an der MHH Diskriminierungserfahrungen machen und setzen uns dafür ein, dass diese nicht verschwiegen werden.*

(*zum Beispiel mit #SayIt, unserer Plattform für ein respektvolles Miteinander an der MHH: https://www.mhh.de/sayit)

Hier könnt ihr euch die Inhalte der Aktionstage nochmal anschauen:

/jn